Tagungsbeitrag

Die ehemalige Bibliothek in der Domklausur zu Brandenburg: Zur Gestaltung der Architekturoberflächen in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts – Befunde und ihre Visualisierung

Nach 1426 wurde ein einheitlicher Neubau aus Ziegelmauerwerk an den im 13. Jahrhundert errichteten Nordflügel der Domklausur angefügt, mit dem nördlichen Kreuzgangarm im Erdgeschoss und der Bibliothek im Obergeschoss. Auftraggeber dieses bedeutenden Bibliotheksbaus und seiner Ausgestaltung waren Bischof Stefan Bodeker und Domprobst Peter von Klitzke, wovon ihre Wappen zeugen, aufgemalt auf die Schlusssteine des Gewölbes.
Im Vortrag wird zunächst die bauzeitliche Architektur der zehnjochigen kreuzrippengewölbten Bibliothek mit ihrer architektonischen Gliederung und Bauplastik vorgestellt. Dann werden die Ergebnisse der restauratorischen Befundsicherung präsentiert, mit neuen Erkenntnissen zum Aussehen der Architekturoberflächen im 15. Jahrhundert. So lässt sich eine bauzeitliche 1. Gestaltungsphase nachweisen, mit ziegelsichtigen Oberflächen, die teils durch Schmuckritzungen in den Fugen und einen Wechsel von glasierten und ziegelsichtigen Formsteinen charakterisiert sind. Vermutlich handelt es sich dabei um ein kostengünstiges aber doch qualitätvolles Provisorium, das wenig später, mit der 2. Gestaltungsphase der 1440er Jahre, durch eine vollständige Ausmalung ersetzt wurde. Diese war berühmt aufgrund ihrer szenischen Darstellungen zu den Wissenschaften und Künsten. Unsere restauratorischen Untersuchungen waren darauf ausgerichtet, das gesamte Gestaltungssystem zu erfassen und zu visualisieren, welches zusammen mit den szenischen und figürlichen Darstellungen eine prachtvolle Einheit bildete. Anhand von Fragmenten und oft kleinsten Überresten konnten wir steinimitierende Fassungen nachweisen sowie Material- und Architekturillusionismus als prägende Elemente dieser Malerei der 1440er Jahre exakt nachvollziehen, im Zusammenspiel mit reich differenzierter vegetabiler Ornamentik.
Ein besonderes Anliegen war die Visualisierung dieser Befunde, mit einer anschaulichen theoretischen Rekonstruktion des ursprünglichen Aussehens der Malerei der 1440er Jahre in ihrem ganzen Formen- und Farbenreichtum, im Zusammenspiel mit der Architektur des Raumes. Auf der Grundlage umfangreicher restauratorischer Befunde sowie naturwissenschaftlicher Analysen ließen sich die historische Maltechnik und die späteren Veränderungen weitgehend vollständig nachvollziehen. Der Vortrag vermittelt, wie gewinnbringend innovative digitale Techniken für eine solche Visualisierung eingesetzt werden können und wo diese Techniken ihre Grenzen finden. Ganz bewusst wurden mit studentischen Abschlussarbeiten auch traditionelle maltechnische Kopien und Teilrekonstruktionen gefertigt und mit digitalen Teilrekonstruktionen verglichen, um Vor- und Nachteile beider Vorgehensweisen zu evaluieren. Ebenso wurden die Möglichkeiten der digitalen Retusche erprobt, nachdem die verantwortlichen Fachleute bei der jüngsten Konservierung zurecht auf die praktische Ausführung einer Retusche verzichtet hatten.

Prof. Dr. Dipl. Rest. Ursula Schädler-Saub, geboren in München, aufgewachsen in Italien, seit 1981 wieder wohnhaft in Deutschland. Studium der Kunstgeschichte an den Universitäten Mailand und Florenz, Studium der Restaurierung am Opificio delle Pietre Dure in Florenz. Promotion zum Dr. phil. an der TU Berlin.
Von 1981 bis 1993 tätig beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in München, zunächst als Restauratorin für Wandmalerei und dann als Gebietsreferentin in der praktischen Denkmalpflege (Nürnberg und Mittelfranken). Von Wintersemester 1993/94 Professur für das Lehrgebiet „Geschichte und Theorie der Restaurierung, Kunstgeschichte“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst HAWK in Hildesheim, Fakultät Bauen und Erhalten.
Mitglied der Monitoring-Gruppe für die deutschen Welterbestätten des Deutschen Nationalkomitees von ICOMOS sowie verschiedener International Scientific Committees, Sprecherin des National Scientific Committee „Konservierung-Restaurierung“. Mitglied von ICOM und ICOM-CC (Working Group History and Theory of Conservation/Restoration).
Teilnahme an vielen internationalen Forschungsprojekten insbesondere zur Geschichte, Theorie und Ethik der Restaurierung und der Denkmalpflege; Veranstaltung von Fachtagungen und zahlreiche Publikationen zu diesen Forschungsschwerpunkten.
Von November 2017 bis Dezember 2021 Leiterin des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Forschungsprojektes „Der Wandmalereizyklus zu den Wissenschaften und Künsten in der Brandenburger Domklausur. Restaurierungswissenschaftliche Forschung zur substantiellen und ideellen Erschließung des erhaltenen Bestandes“.