Tagungsbeitrag

Seliger, Antje:

Das Chorgestühl in St. Godehard. Der Versuch einer kunst- und kulturgeschichtlichen Einordnung

Noch im Jahr der Einführung der sog. Bursfelder Reform 1466 stiftete der neue Abt Lippold (1465-1473) ein neues Chorgestühl für seine Abteikirche. Heute sind die vier Reihen paarig im Chorumgang aufgestellt und nicht mehr in ihrer liturgischen Position und Funktion erlebbar. Diese Erscheinungsbild des Gestühls ist bereits in den Beschreibungen der Gotthardkirche durch Mithoff aus dem Jahr 1875 überliefert.
Die symmetrisch aufgebauten Reihen zeigen einerseits hohe reliefierte Brettwangen, anderseits hohe Wangen mit Ausschnitt und vollplastischer Figur. Statt der Stallen haben alle Reihen eine durchgehende Sitzbank sowie erneuerte Rückwände und Baldachine. Diese im 19. Jh. durchgeführten Änderungen verfälschen die Proportionen der Achsteilung und die Länge der einzelnen Reihen um ein unbekanntes Maß. Das erschwert die Rekonstruktion des Originalaufbaus.
Das Hauptcharakteristikum des Gestühls bleiben die seitlichen Wangen mit ihrem Bildschmuck. Eine Besonderheit des Hildesheimer Gestühls sind die vollrunden, zudem polychromen Skulpturen in den C-förmigen Ausschnitten der Hochwangen, deren hölzerne Originale 1980 durch Gipsabgüsse ersetzt wurden.
Das ikonographische Personal zeigt unmittelbar mit dem Kirchenbau St. Godehard verbundene Personen: die Patrone und Stifter des Klosters, dazu - als Relief in demütiger Präsenz - der Klosterreformer, der das Gestühl stiftete. Einen zweiten Akzent setzen Madonnendarstellung (Kompatronin), Engelschor und Kirchenväter.
Das Chorgestühl wird in diesem Vortrag hinsichtlich seiner ursprünglicher Aufstellung und seinen stilistisch und ikonographischen Eigenschaften analysiert: Die Reliefs und Skulpturen werden im Rahmen von Legitimation und Exegese interpretiert und in Beziehung zur freiplastischen Skulptur gesetzt. Ziel ist es, mithilfe des Bildprogramms Rückschlüsse auf die Anordnung der Wangen im Grundrissgefüge des Gestühls zu erhalten und die ungewöhliche Farbfassung zu erläutern.

Dr. Anja Seliger ist Tischlerin und hat Kunstgeschichte sowie Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie studiert. Von 2013 bis 2017 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Stipendiatin am Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit Februar 2018 ist sie wissenschaftliche Referentin der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt im Projekt „Inventarisierung Halberstädter Dom“. Kontakt: seliger@chorgestuehl.de