Tagungsbeitrag

Hunziker, Manuel Johannes:

Digitale Überblendung und virtuelle Ergänzung mit Augmented Reality - eine Möglichkeit der Kontextualisierung von Fragmenten in den archäologischen Sammlungsbeständen

Der Großteil des archäologischen Fundmaterials liegt zumeist in fragmentarischer Form vor und reicht von Kleinstfunden bis hin zu monumentalen Großplastiken und Architekturelementen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden für die museale Präsentation in vielen Fällen Ergänzungen bzw. Rekonstruktionen unmittelbar am Objekt vorgenommen – zumeist ohne bzw. kaum sichtbaren Unterschied zum Original. Heutzutage ist man in der Regel zurückhaltender mit Ergänzungen und belässt entweder das Objekt als solches oder fertigt optisch unterscheidbare Rekonstruktionen an, die sich klar vom Original absetzen. Auch werden die bereits über 100 Jahre alten Ergänzungen nicht revidiert, sondern in ihrem eigenen historischen Wert betrachtet. Besonders im musealen Kontext besteht der Anspruch, dem Betrachter mögliche Varianten der Rekonstruktion aufzuzeigen. Im besten Fall soll dies sogar unmittelbar am Objekt selbst geschehen. Durch die aktuell verfügbaren Visualisierungstechnologien ergeben sich neue Sichtweisen auf die Objekte und deren Präsentation im Museum. Mit Augmented Reality können mögliche Rekonstruktionsvarianten, wie Fassungen und Ergänzungen, aufgezeigt und auf noch vorhandene Originalbestandteile aufmerksam gemacht werden. Hierzu benötigt der Betrachter lediglich ein Tablet oder ein Smartphone. Bei der Fokussierung auf das Objekt erscheint dann auf dem Display die entsprechende Überblendung bzw.Hervorhebung (s. Abb.1).
Im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke in München werden aktuell ausgewählte Stücke mit 3DScanning erfasst und die Möglichkeiten verschiedener Visualisierungsverfahren im musealen Kontext erprobt. Exemplarisch hervorzuheben ist hierzu ein aktuell laufendes Projekt zum sogenannten Münchner Olympia-Giebel.
Bei diesem handelt es sich um eine maßstabgetreue Rekonstruktion des Westgiebels vom Zeustempel in Olympia mitsamt seinem Figurenschmuck. Vom Münchner Olympia-Giebel existieren heute nur noch die 21 monumentalen Figuren, die umfangreiche Ergänzungen aus dem späten 19. Jahrhundert aufweisen. Selbst für das geschulte Auge ist es schwer, die Originalabformungen von der Rekonstruktion zu unterscheiden. Durch eine kartierte Visualisierung der originalen und ergänzten Partien soll dem Betrachter dies aufgezeigt werden (s. Abb.2). Zudem lassen sich mithilfe der Visualisierungstechnologie verschiedene Fassungsvarianten überblenden. Ebenso möglich wird es, die Figuren in den virtuellen Tempelgiebel einzufügen und zu kontextualisieren sowie nicht mehr existente Elemente, wie zum Beispiel das nicht mehr vorhandene Schwert des Peirithoos (s. Abb.1), virtuell einzublenden. An weiteren Objekten aus dem Sammlungsbestand, wie Reliefs, Gefäßen und Vollplastiken, sollen in nächster Zeit weitere Augmented-Reality-Anwendungen erprobt werden.
Diese Möglichkeiten für Forschung und Vermittlung und die Übertragbarkeit auf die Restaurierung sowie deren Nutzen werden anhand von Praxisbeispielen aus dem Museumskontext vorgestellt.

Digital cross-fading and virtual augmentation with augmented reality - a way of contextualizing fragments in the archaeological collection
The majority of archaeological finds are mostly in fragmentary form and range from very small finds to monumental large sculptures and architectural elements. Until the nineteenth century, many additions or reconstructions were made directly on the object for museum presentation - for the most part with no or hardly any visible distinction from the original. In the case of historical additions, the question arises as to whether they should be retained and regarded as a historical testimony with their own value or whether they should be de-restored. Nowadays, one is usually more cautious with additions and either leaves the object as such or makes visually distinguishable reconstructions that clearly stand out from the original through the choice of materials or design. Concepts involving digital technologies are also being tested, such as augmented reality (AR) and its possible use in the archaeological collections; this technology will be discussed in the following article as an example. The casts of the pediment figures of the Munich Olympia pediment and the so-called Crouching Aphrodite were selected for testing digital concepts in the Museum of Casts of Classical Statues in Munich.

Manuel Johannes Hunziker M.Sc. M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Digitale Archäologie am Department für Kulturwissenschaften und Altertumskunde der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er studierte Angewandte Informatik sowie Klassische Archäologie an der Universität Heidelberg (M.Sc.) und Denkmalpflege an der Universität Bamberg (M.A.). Sein aktueller Forschungsschwerpunkt liegt in der Anwendung und Entwicklung computergestützter Verfahren zur dreidimensionalen Dokumentation, Visualisierung und virtuellen Rekonstruktion in den archäologischen Wissenschaften.
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