Tagungsbeitrag

Griber, Julia:

Zur Denkmalpflege an kirchlichen Bauten in der ehemaligen Sowjetunion (am Beispiel Smolensk)

Die Strategien der Denkmalpflege in der Sowjetunion waren über die fast 75 Jahre ihrer Existenz keineswegs einheitlich. Die Schwerpunkte wurden in erster Linie durch politisch-weltanschauliche Umstände beeinflusst.
In den ersten Jahren des Bestehens der Sowjetunion wurde durch Dekrete das kirchliche Vermögen verstaatlicht und die Kirchen in Staatseigentum überführt. Gleichzeitig verursachten Verfassungsänderungen ein besonderes Verhältnis des Staates zur Kirche und folglich zu Kirchenbauten. Nun wurde die religiöse Kunst nicht als Teil des großen Kulturerbes von Russland betrachtet, sondern als Attribut eines religiösen Kultes. Dementsprechend wurde auch darauf verzichtet, die Kirchenbauten und ihre Elemente als historische Dokumente und Denkmäler anzusehen: Man bezeichnete sie als ein wirksames Mittel der 'Magie vom Zarismus' und der Unterstützung der 'konterrevolutionären Rolle der Kirche und Religion'.
Der Staat, der den Atheismus aktiv propagierte, hatte es ideologisch nicht einfach, sich um viele tausende Kirchen zu sorgen, die zudem Objekte der antireligiösen Kampagne der Partei waren. Er hatte sich mit Fragen auseinanderzusetzen, wie die kirchlichen Bauten in einer sozialistischen Stadt aussehen sollten, wie sie genutzt werden und ob sie überhaupt Denkmäler sind.
Insbesondere in den 1930er Jahren führte der Kampf gegen die Religion zur Massenvernichtung der Kultbauten. Eine der Strategien zur Erhaltung der kirchlichen Baudenkmäler, die die atheistische, auf die Entwicklung der Wirtschaft und Industrie orientierte Staatsmacht ausgewählt hatte, war ihre Vermietung. Als Vermieter traten nicht nur Behörden auf, sondern auch Betriebe.
Kriterien und theoretische Grundlagen der Restaurierungspraxis veränderten sich stark: Die Restauratoren waren gezwungen, nicht der Wahrheit und der Wissenschaft, sondern der neuen Ideologie zu dienen. So entstand innerhalb der Kirchengebäude ein „antisakraler“ Raum, ihre historischen Formen und ihr künstlerisches System wurden anders. Die vollwertige und behutsame Restaurierung wurde vom „Kopieren“ abgelöst, das keinen künstlerischen und historischen Wert (vermutlich außer dem städtebaulichen) besaß.


Dr. Julia Griber, Studium von Fremdsprachen und Philosophie an der Universität Smolensk, sowie Sozial- und Kulturwissenschaften an der Universität Hagen. Promotion im Fach Philosophie mit dem Thema: Die Epistemologie der Kunst.
Seit 2001 wiss. Mitarbeiterin an der Staatlichen Universität Smolensk, 2007-2008 Inhaberin des Lehrstuhls für Soziologie, 2009-2011 Dekanin der Fakultät für Fremdsprachen;
2012 Gastprofessorin an der Universität Seattle (USA),
seit 2013 Professorin am Lehrstuhl für Philosophie an der Staatlichen Universität Smolensk.

Veröffentlichungen in den Bereichen Architekturfarbigkeit, Bau- und Kunstgeschichte, Theorie der Farbengestaltung.