Conference paper

Weyer, Angela; Klein, Kerstin; Hentschel, Barbara:

Sgraffito-Tagung an der HAWK in Hildesheim im November 2017 - eine Nachlese

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30 Jahre nach Einzug der ersten Studierenden der Wandmalerei-Restaurierung veranstaltete die HAWK zusammen mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege vom 2. bis 4. November 2017 eine internationale Tagung in Hildesheim zum Thema "Sgraffito im Wandel – Materialien, Techniken, Themen und Erhaltung“, zu der Gäste aus elf Ländern angereist waren (Abb. 1).

Sgraffiti und kulturelle Identität
Seit dem Mittelalter prägen Sgraffito-Dekorationen das Bild vieler europäischer Städte und Dörfer: Es gibt diese Fassaden-Dekorationen in Italien ab Beginn des 14. Jahrhunderts, ab dem 16. Jahrhundert dann auch in Österreich, Süddeutschland, Böhmen, Mähren, Pommern und Schlesien. Im 17. und 18. Jahrhundert findet man die Technik nur noch in Spanien und im Alpenraum, bis sie dann Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland „wiederentdeckt“ wird (Abb. 2) und sich bis Anfang des 20. Jahrhunderts verstärkt über größere Teile Europas ausbreitet, um dann nach dem Zweiten Weltkrieg wieder mehr genutzt zu werden.

Die Bilder und Ornamente sind aus Tünchen oder Schlämmen, die auf meist dunkel eingefärbten Mörteln aufgebracht wurden, gekratzt oder geschnitten und zeigen eine Vielzahl an oft großformatigen Motiven, die – so waren sich die Tagungsteilnehmer/innen einig – oftmals mehr als einfache Dekoration sind und viele verschiedene Themen der jeweiligen Zeiten aufnehmen, z. B. Tugenddarstellungen, Geschichten aus der Bibel, Jahreszeitenbilder, Tiere bis hin zu Firmenschildern. Am Tagungsort Hildesheim haben sich beispielsweise an Wiederaufbauten der 1950er Jahre hochwertige Putz-Dekorationen mit Darstellungen im Krieg zerstörter Hildesheimer Denkmale erhalten, die den (bis heute) starken Schmerz der Hildesheimer über den Verlust kultureller Identität zeigen (Angela Weyer, Abb. 3).
Da sich die künstlerische Technik der Sgraffiti gerade für monumentale Fassadenbilder eignete, haben sich ihrer auch totalitäre Regime des 20. Jahrhunderts bedient, was z. B. in Danzig dazu führt, dass auch rein künstlerische Gestaltungen aus der Zeit abgelehnt werden (Anna Kriegseisen). Roswitha Kaiser erläuterte im öffentlichen Abendvortrag anhand einiger NS-Propaganda Sgraffiti, dass aber auch diese Zeugnisse abgeben von einer geschichtlichen Epoche und daher - auch laut Gesetz - zu bewahren sind, allerdings der Bevölkerung unbedingt erklärt werden müssen.

Wahrgenommen werden Sgraffiti zumeist als billiger Ersatz einer technisch anspruchsvolleren und aus teureren Materialien bestehenden Wandgestaltung. Dass eine solche Sicht der Revision bedarf, erläuterte u. a. Andreas Huth, indem er nachwies, dass in Italien der Frühen Neuzeit vorrangig Schlösser, die Paläste reicher Bürger und auch Kirchen so geschmückt waren, also nicht eben Bauwerke, bei deren Errichtung und Ausschmückung streng gespart wurde. (Abb. 1)
Spätestens nach seinem Beitrag oder dem globalen Überblick über Sgraffiti (Rafael Ruiz Alonso), den Erläuterungen zu den VorFormen in Sachsen-Anhalt (Thomas Danzl) oder den Präsentationen der Nachkriegs-Sgraffiti in Köln (Christoph Schaab, Abb. 5) und in Israel (Shay Farkash, Yossi Gabriel) wurde die kulturhistorische Bedeutung und die gestalterische Qualität von Sgraffiti nochmals deutlich.

Denkmalpflege und Restaurierung
Wir laufen heute oftmals achtlos an ihnen vorbei, da sie in unserem ästhetisch viel belebteren Stadtbild kaum mehr auffallen. Und da beginnt das Problem: Sgraffiti verschwinden immer mehr aus unserem Stadtbild, werden aus Geringschätzung und Unkenntnis übermalt oder gar zerstört, bei der Wärmedämmung überdeckt oder durch mangelnde Pflege dem Zerfall preisgegeben (Abb. 4). Ihre Erhaltung gehört seit Jahrzehnten argumentativ zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Denkmalpflege (Manfred Koller).
Die Schwierigkeiten der Erhaltung von Sgraffiti liegen in ihrer Herstellungstechnik begründet, sind aber auch häufig auf eine wechselvolle Geschichte von Verfall und Reparatur zurückzuführen, wie Kerstin Klein deutlich machte. Restaurator/inn/en sehen sich - insbesondere infolge früherer einge¬brachter Konsolidierungsmittel (z. B. Christoph Tinzl) oder Alterung der originalen Materialien (Kimberley Reczek) - bisweilen zu großflächigen Rekonstruktionen gezwungen (Christiane Maier). Aufgrund stark dezimierter Bestände ist selbst eine Rekonstruktion am Objekt zum Teil nur noch bedingt möglich und muss bisweilen auf der Grundlage historischer Grafiken und Fotografien durchgeführt werden.

Wie schwer das ist, insbesondere, wenn man Schwarz-Weiß-Fotos zur Rekonstruktion historischer Farbigkeit nutzen muss, machte Claire Fontaine an einigen hochkarätigen Jugendstil-Sgraffiti aus Brüssel glaubhaft. Es gibt aber auch in Deutschland noch Renaissance-Sgraffiti, die auf Grund ihres Erhaltungszustandes konserviert und restauriert werden können (Matthias Zahn).
Dass selbst in einer Stadt im Lauf weniger Jahrzehnte sehr verschiedene Materialien zur Herstellung von Sgraffiti benutzt wurden, zeigten die vielen aktuellen, verschiedenartigen Querschliffe von Hildesheimer Sgraffiti aus den 1930 bis 1950er Jahren (Anneli Ellesat). Diese Vielfalt an Materialien und Darstellungen führte in jüngerer Zeit aber auch zu Beispielen, bei denen lokale Traditionen zugunsten vermeintlich historischer Gestaltungen missachtet und verfälscht wurden, wie Ulrich Fritz an Beispielen aus dem Schweizer Alpenland erläuterte, wo man z. B. bei Rekonstruktionen oftmals die örtliche Farbigkeit missachtete und die Sgraffiti deshalb mit stärkeren Farbkontrasten ausführte.
Einen Einblick in die technische Vielfalt der Erhaltungsansätze der vergangenen Jahrhunderte erhielt man z. B. bei den Erläuterungen von Matthias Staschull und Klaus Häfner zu den Sgraffiti von Schloss Neuburg an der Donau. Dass es sich bei der Erforschung und Erhaltung keinesfalls um nationale Fragestellungen handelt, sondern um transnationale, zeigte z. B. Zuzanna Wichterlova mit einem Einblick in eine in Tschechien seltene Sgraffito-Technik, die sie auch im nahegelegenen Österreich vermutet und auf die man bei Restaurierungsarbeiten achten müsse.

Workshop
Da man künstlerische Techniken im wahrsten Sinne erst einmal „begreifen“ muss, bevor man historische Werke restaurieren kann, bieten die HAWK-Restaurator/inn/en im Rahmen von Tagungen oftmals praktische Workshops an, die sich besonders großer Beliebtheit erfreuen (Abb. 6). Auch bei dieser Tagung waren die 20 Plätze dazu sehr schnell vergeben. Die Teilnehmenden lernten von Restaurator Peter Erhardt die praktische Erstellung eines zweischichtigen Sgraffito an der Wand:
von der Aufbringung eines mit Holzkohle gefärbten einlagigen Verputzes (aufgrund des zeitlichen Rahmens des Workshops ein modernes Putzsystem), über den 3maligen Auftrag dünner weißer Tünchen, der Übertragung eines Motives in Lochpaustechnik bis hin zum linearen und großflächigen Abkratzen der Tünchen mit verschiedenartigen Werkzeugen zur Gestaltung der Bilder.

Was bleibt?
„Wir sind den Zielen, die wir uns mit der Tagung gesteckt haben, ein gutes Stück näher gekommen“, so Dr. Angela Weyer, Leiterin des Hornemann Instituts der HAWK und Sprecherin der Vorbereitungsgruppe bestehend aus ihr, Anneli Ellesat, Barbara Hentschel, Heike Leuckfeld (alle HAWK) sowie Dr. Kerstin Klein (NLD): Die Restaurator/inn/en aus Belgien (Claire Fontaine), Deutschland (Matthias Zahn, Christiane Meier) Großbritannien (Kimberley Reczek), Israel (Yossi Gabriel) oder Tschechien (Jan Vojtěchovský) haben sehr konkret ihre Restaurierungsmaßnahmen und Problematiken an aussagekräftigen Fallbeispielen erläutert. Auch die Schaffung eines ersten internationalen Sgraffito Netzwerkes wird nun fassbar: Der Tscheche Jan Vojtěchovský will 2018 eine Nachfolgekonferenz nahe des UNESCO-Welterbes Schloss Litomyšl organisieren. Ulrich Fritz plant eine Sgraffito-Tagung in der Schweiz. Es gibt Gespräche, diese Tagungen zu einer in Europa rotierenden Sgraffito Konferenzreihe zu machen, mit einem koordinierenden wissenschaftlichen Beirat. Shay Farkash aus Israel kündigte einen Call for Papers für eine Wandmalerei-Restaurierungstagung in Jerusalem an.
Langfristig plant das Hornemann Institut der HAWK auf der Basis dieser ersten europäischen Plattform für Sgraffito-Spezialisten mit einigen der Referent/inn/en einen Förderantrag bei der Europäischen Kommission, um die erarbeiteten Desiderate in Forschungsfragen zur Entwicklungs- und Technikgeschichte aufzuarbeiten.
Parallel, so waren sich alle einig, muss die Inventarisation vorangetrieben werden, bestenfalls wie in Köln mit Bürgerbeteiligung, um überhaupt erst einmal eine qualifizierte Bestandsaufnahme von Motiven, Techniken und Schaffenden zu erhalten. Auf dieser Grundlage wird es den Entscheidungsträgern in der Denkmalpflege leichter fallen, die kulturhistorische Bedeutung von Sgraffito-Dekorationen zu erläutern und damit den Weg für ihre qualifizierte Erhaltung zu bereiten.
Um die neuen Erkenntnisse der Hildesheimer Tagung langfristig der Öffentlichkeit bereitzustellen, ist eine Publikation im Jahr 2018 geplant, deren digitale Form nach einem mit dem Verlag abzustimmenden Zeitpunkt auch zum kostenfreien Download über die Website des Hornemann Instituts angeboten wird. Da es bislang keine vergleichbare Publikation gibt, wird mit dieser Tagungspublikation ein Grundlagenwerk geschaffen. Zudem werden die neuen Forschungsergebnisse auch zeitnah in die Lehre an den Hochschulen einfließen, denn viele der Referent/inn/en lehren an Hochschulen.

Resolution zur Erhaltung vom UNESCO-Welterbe Schloss Litomyšl
Zudem gibt es auch eine kulturpolitische Konsequenz: Die Tagungsteilnehmer/innen verabschiedeten folgende Resolution, die von der HAWK zum UNESCO-Welterbe Zentrum nach Paris geschickt wurde: Darin wird darum gebeten, sich für eine nochmalige Diskussion der Pläne für eine Rekonstruktion eines Zustandes der Renaissance von Schloss Litomyšl einzusetzen, da sie u. a. die Zerstörung von barocken Sgraffiti mit sich bringen würde.

Statement from the “Sgraffito im Wandel“ conference (held in HAWK Hildes-heim from 1st to 4th of November 2017) about the reconstruction of the lunette cornice of the Litomyšl Castle
During the conference, a paper on the current state of Litomyšl Castle sgraffito and future conservation plans was presented. These plans also include reconstruction of the lunette cornice on the north-west façade of the Castle; this structure originally existed, but was destroyed in 1635 and overlaid with a subsequent layer of sgraffito decoration. The principles of this reconstruction will follow the reconstructions on the southeast and southwest facades already carried out in the 1980s.
We, the participants of the “Sgraffito im Wandel/ Sgraffito in Change“ conference state the following:

- We consider the UNESCO site, Litomyšl Castle, to be an outstanding monument with many valuable historical layers. None of them, referring to the Venice Charter, should be favoured above others.
- We express our concern about the current proposal for the lunette cornice reconstruction, which, although it was originally intended to be a preventive conservation tool, has now taken the form of an aesthetic element. This, in our view as specialists in sgraffito surveys, maintenance and preservation, contradicts the object of preserving and presenting the multilayered values of the monument.
- We call on the heritage authorities of the Czech Republic to reconsider this proposal and, if it is needed, to seek international discussion on this matter.
Hildesheim, 3rd November 2017


In memoriam
Die Tagung wurde veranstaltet in Erinnerung an Prof. Dr. Nicole Riedl-Siedow (1971-2017), Leiterin der Studienrichtung Konservierung/Restaurierung von Wandmalerei/Architekturoberfläche und kommissarische Leiterin der Studienrichtung Konservierung/Restaurierung von Stein und Keramik, die sich an der Konzeption der Tagung maßgeblich beteiligt hatte.

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10.5165/hawk-hhg/384